Nachlese zum Equitana-Handicap-Tag
Tölt mit mächtiger Vorderhand-Aktion, spektakulärer Rennpass – das kommt vielen in den Sinn, wenn sie an die Pferde aus dem Norden denken. Aber Isländer haben weitaus mehr zu bieten als das, was sie auf Turnieren immer wieder zeigen. Das zeigte der Handicap-Tag auf der Equitana am 19.3.2015 ganz deutlich. Da ging es nicht um rasante Ritte, nicht um prämierte Zuchthengste oder erfolgsversprechenden Nachwuchs. Vielmehr drehte sich alles um das Therapeutische Reiten.
Was einen guten Therapeuten ausmacht
Dazu hatte das Team rund um Susanne Burghardt und Klaus Hübel Verstärkung mit Fachwissen eingeladen. So erklärte Stephanie Tetzner, unter anderem Reitausbilderin im Behindertenreitsport, im Ring der Halle 2 den weiten Bereich des Therapeutischen Reitens. „Einen guten Therapeuten erkennt man daran, dass der Tierschutz für ihn wichtig ist, dass die Pferde eine gute Ausgleichsarbeit bekommen und nicht täglich stundenlang im Schweinepass daher laufen“, betonte sie. Neben dem Fachwissen über die Tiere ist natürlich das Fachwissen über die Defizite der Patienten unabdingbar. „Ein guter Therapeut muss selbstverständlich wissen, dass zum Beispiel beim Down Syndrom ein Zusatzsymptom die Instabilität der Halswirbelsäule sein kann. Ihm muss klar sein, mit welchen Möglichkeiten er mit Patienten und Pferden arbeiten kann.“
Während Tetzner noch erklärte, dass es neben der Hippotherapie, durchgeführt von Physiotherapeuten, auch die Ergotherapie zu Pferde gibt, drehte im Ring Julia Neuhann ihre Runden. Von der spastischen Lähmung ihrer Beine, auf die Tetzner hinwies, hätte wohl kaum ein Zuschauer etwas bemerkt. „Der Tölt lockert die Muskulatur“, erzählte Neuhann anschließend. „Die Schmerzen werden gemindert und ich kann mich nach dem Reiten besser bewegen.“
Bewegte Logopädie von Julia Neuhann
Neuhann war jedoch nicht nur als „Betroffene“ vor Ort, sondern auch als Therapeutin. Sie prägte den Begriff „Bewegte Logopädie“. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Arbeit mit Kindern mit Komplexen, Sprachentwicklungsstörungen und Schwerst-Mehrfachbehinderungen. Die Vierbeiner leisten ihr dabei gute Dienste. „Man kann sich den Bewegungsfluss beim Reiten zunutze machen“, erklärte sie. So hätten beispielsweise viele Kinder mit Down Syndrom eine niedrige Körperspannung. „Das Reiten hilft ihnen, sich aufzurichten, mehr Spannung zu bekommen.“ Das wiederum helfe dabei, sich auf die Feinmotorik zu konzentrieren. „Und Sprechen“, betonte Neuhann, „ist Feinmotorik.“ Aber auch bei Kindern, die stottern, hat sie mit der Reittherapie gute Erfahrungen gemacht. „Über den Rhythmus des Pferdes können die Kinder ihren Atemrhythmus verbessern.“ Eine verbesserte Atmung wiederum verbessere den Sprachfluss.
Erfahrungen und Wünsche
Neuhann und Tetzner waren jedoch nicht nur im Ring aktiv - sie unterhielten sich bei Gesprächsrunden mit interessierten Besuchern und Patienten über ihre Erfahrungen. Und über ihre Wünsche. Denn auch, wenn Neuhann sich mit der Bewegten Logopädie einen Lebenstraum erfüllt hat - einen Wunsch hat sie noch, was den IPZV angeht: „Das Therapeutische Reiten sollte ein fester Bereich und ein dauerhaftes Thema innerhalb des IPZV werden.“
Text und Bilder: Linda Ehrhardt,
Ressort Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Landesverband Westfalen-Lippe